Die generelle Inzidenz von Übelkeit und Erbrechen wird in der Literatur mit 70-80% angegeben. Rund 50% aller Schwangeren leiden an Übelkeit und Erbrechen in der Frühschwangerschaft, rund 25% nur an Übelkeit. Der umgangssprachliche Begriff „Morgenübelkeit“ ist unzutreffend, da viele Schwangere den ganzen Tag persistierende Übelkeit spüren. Die Symptome verschwinden in 60% der Fälle am Ende des 1. Trimenons, in 90% der Fälle spätestens bis zur 20. Schwangerschaftswoche (SSW).
In 0,2-2% der Schwangerschaften verläuft die Erkrankung schwer: Hyperemesis gravidarum ist gekennzeichnet durch ständiges Erbrechen, Dehydratation, einen Gewichtsverlust von mehr als 5% des Körpergewichtes und Elektrolytveränderungen. Hyperemesis gravidarum stellt den häufigsten Grund für eine stationäre Aufnahme vor 20 SSW dar. Sie betrifft fast nur Frühschwangere (4.-9. SSW), kann allerdings selten bis zum 3. Trimenon reichen.
Die genaue Ursache ist unklar; es werden verschiedene Faktoren diskutiert: erhöhte ß-HCG-Werte, Vitamin-B-Mangel, verringerte ösophageale und gastrische Motilität mit einem zusätzlich relaxierten unterer Ösophagussphinkter sowie Helicobacter pylori-Infektionen. Die früher verbreitete Annahme, Stress und Ambivalenz gegenüber der Schwangerschaft stellten die Ursache für Hyperemesis gravidarum dar, konnte wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden.
Hyperemesis gravidarum ist eine Ausschlussdiagnose. Gastrointestinale (z.B. Appendizitis, Hepatitis, Pankreatitis), metabolische, gynäko-urologische und neurologisch-psychiatrische Differentialdiagnosen müssen abgeklärt und ausgeschlossen werden. Ein erstmaliges Auftreten von Übelkeit und Erbrechen nach 8 SSW ist eine Rarität in der Schwangerschaft.
Die wissenschaftlich untersuchten konservativen Therapieempfehlungen umfassen Meidung von Triggern (fettes, scharfes Essen, Gerüche), regelmäßige kleine, kohlenhydrat- und proteinreiche Mahlzeiten und ausreichend Trinken.
In Placebo-kontrollierten Studien wurden alternative Therapiemaßnahmen untersucht: Ingwer, Akupunktur und Vitamin B6 (Pyridoxin)-Supplementierung reduzierten effektiver Übelkeit, nicht jedoch Erbrechen. Psychologische familiäre und medizinische Unterstützung wirken sich positiv auf die Symptome aus.
Pharmakologische Therapiemöglichkeiten sind Antihistaminika (H1-Antagonisten), die antiemetisch wirken: Meclozin gehört zu den Mitteln der 1. Wahl, ist in Deutschland aber seit 2007 nur über Auslandsapotheken erhältlich. Doxylamin in Kombination mit Pyridoxin wird seit ca. 30 Jahren weltweit zur Therapie bei Schwangerschaftserbrechen eingesetzt und ist seit 2019 auch in Deutschland für diese Indikation zugelassen. Dimenhydrinat und Diphenhydramin sind wirksame Alternativen, allerdings sollten sie im 3. Trimenon bei vorzeitiger Wehentätigkeit zurückhaltend angewendet werden. Auch Promethazin ist eine wirksame Therapieoption mit allerdings deutlich sedierender Wirkung.
Metoclopramid ist der gebräuchlichste Dopaminantagonist gegen Übelkeit und Erbrechen. Der Serotonin-Antagonist (5-HT3-Blocker) Ondansetron ist ein potentes Medikament, um Übelkeit und Erbrechen effektiv zu bessern; in einer randomisiert-kontrollierten Studie war Ondansetron der Kombination Doxylamin/Pyridoxin signifikant in der Wirksamkeit überlegen. Ondansetron ist Metoclopramid in der Reduktion von Erbrechen überlegen. Übelkeit wird durch beide gleich stark beeinflusst. Beide Medikamente sollen erst zum Einsatz kommen, wenn konservative oder alternative Therapiemaßnahmen und die Antihistaminika versagt haben.
Bei Hyperemesis gravidarum kann eine Flüssigkeits- und Glukosesubstitution (meistens stationär) nötig sein. Dabei muss auf eine Vitaminzufuhr (insbesondere Vitamin B1 = Thiamin, Vitamin B6 und B12) geachtet werden. Eine Wernicke-Enzephalopathie aufgrund des Thiaminmangels ist die schwerste Komplikation einer Hyperemesis gravidarum. Auch Glukokortikoide wie Methylprednisolon können bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden. Das Antidepressivum Mirtazapin mit seinen unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften stellt eine weitere Therapiemöglichkeit bei schweren Verläufen und psychiatrischen Symptomen wie Depression und Ängsten dar. Die Datenlage bezogen auf Effektivität und Nebenwirkungen ist limitiert, da vornehmlich nur Fall-Kontroll-Studien vorliegen.
Insgesamt gilt es, frühzeitig bzw. bei bekannter Anamnese von Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft multimodal zu therapieren, um schwere Verläufe zu vermeiden und die Lebensqualität der Patientinnen zu verbessern.
Wenn Maßnahmen wie eine moderate Diät, mehrere kleinere Mahlzeiten, Vermeiden unangenehmer Gerüche etc. nicht helfen, können Meclozin (nur über Auslandsapotheken erhältlich) und Doxylamin (in Kombination mit Pyridoxin) als Medikament der Wahl betrachtet werden. Mögliche Alternativen sind Dimenhydrinat oder Diphenhydramin (unter Beachtung der Einschränkungen), sowie Pyridoxin alleine oder Ingwer. Alle genannten Medikamente sind sehr gut untersucht und zeigten keine Erhöhung der Gesamtfehlbildungsraten. Bei schweren Verläufen sind Metoclopramid und Ondansetron gut untersucht und sehr effektiv, sollten aber wegen spezieller möglicher Nebenwirkungen nicht primär eingesetzt werden.
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